Die Ausstellung Figura cuncta videntis zeigt eine Auswahl an elf performativen Installationen und Dokumentationen vergangener Projekte und Video-basierte Arbeiten, die sich einer Ästhetik des Performativen verschrieben haben, sowie einige neu kommissionierte oder wieder erschaffene Werke. Die Schau unterstreicht die prozesshafte, ephemere und dynamische Beschaffenheit ästhetischer Produktionen mit performativem Charakter, ebenso wie deren transformative Qualität, die im Verlauf einer raschen Wandlung von der Artikulation zur Deartikulation zutage tritt.
Als Live-Events sind Performances zeitlich begrenzt und vergänglich; vielfach entziehen sie sich der Transformation in autonome Kunstwerke. Sie existieren zwischen den ästhetischen Sphären von Kunst, Theater, Tanz und Film; Performer und Publikum; Fremd- und Selbstbetrachtung; innen und außen; realem und imaginärem Raum und definieren Kunst als temporäre Intervention innerhalb eines spezifischen räumlichen Zusammenhangs. Was bleibt, im Sinne eines Artefakts, ist dokumentarischer Natur (Zeichnungen, schriftliche Notizen, Aufnahmen, Relikte, Filme), hat räumlichen Charakter (Umgebungen, skulpturale Assemblagen) oder es sind Objekte, die unmittelbar aus der Aktion heraus entstanden sind.
Die zentrale Arbeit der Ausstellung ist Der Animatograph (Iceland Edition) von Christoph Schlingensief, entstanden 2005. Der deutsche Filmemacher, Künstler und Theaterregisseur starb im August 2010. Der Animatograph ist eine vielschichtige Installation, die den Blick als allsehendes Auge refiguriert und somit sowohl eine Metapher für die universale Ur-Narration als auch einen Apparat durch deren Navigation bereitstellt. Die Arbeit, die erstmals im Ausstellungsraum KlinK og BanK in Reykjavik, Island gezeigt wurde, ist der bedeutendste Korpus an Arbeiten Schlingensiefs; hier wird sie nun, als Hommage an den Künstler, zum ersten Mal in Österreich installiert. Der Titel der Ausstellung, Figura cuncta videntis, wurde Schlingensiefs umfassendem Repertoire an Aneignungen und Umdeutungen von Begriffen entlehnt: „Also wir sehen uns an und können den Blick nicht verlieren. Wir werden aber auch beobachtet. Also wer sieht eigentlich wen an, wenn wir vor dieser Ikone figura cuncta videntis stehen. Gleichzeitig? Die Ikone starrt uns beide an, obwohl wir dachten, nur wir könnten ihrem Blick nicht mehr entweichen. Der Raum überprüft uns und nicht wir den Raum.” (CS)