Welche Bedingungen machen ein Ereignis möglich? Ereignisse entspringen dem Chaos, einer chaotischen Multiplizität, jedoch einzig unter der Bedingung, dass eine Art Sieb dazwischenliegt. (Gilles Deleuze)
No night No day – kommissioniert von Thyssen-Bornemisza Art Contemorary – ist als abstrakte Oper konzipiert und kommt an nur drei Abenden im Teatro Goldoni zur Aufführung. In offenkundiger Abkehr audiovisueller Unteilbarkeit liegt der neuen Kollaboration von Cerith Wyn Evans und Florian Hecker gerade der Gedanke einer Neukombinierung akustischer und projizierter Signale zugrunde. Als Gemeinschaftsarbeit besteht sie aus einem Filmscreening und der Diffusion einer pluriphonen akustischen Installation, ist dabei aber „gleichermaßen Disput und Dialog, entzieht sich Komplementarität wie nahtloser Verflechtung, sondern etabliert stattdessen eine komplexe Interferenzstruktur, innerhalb derer jedes Element azyklisch die Oberhand gewinnt, wodurch markante Spitzen, Spannungspunkte, Wellen, Gezeiten, Annäherungen und Rückzüge entstehen“ (Hecker). Durch diese polymorphe Struktur wird die zentrale Perspektive der Opernbühne gesprengt und, über eine Dauer von vierzig Minuten, das gesamte Teatro Goldoni vereinnahmt. Die kompositorischen Elemente umfassen: einen Film und ein elektroakustisches Soundpiece, das über ein 24-Kanal-Lautsprechersystem räumlich verteilt wird; eine Projektionsfläche, auf dem die klanglichen und visuellen Projektionen wie skulpturale Elemente desselben Stücks behandelt werden. Dennoch werden Wyn Evans und Hecker, in der Tradition performativer Produktionen, die möglichen gegenwärtigen und vergangenen (Vor-)Bilder des Mediums visualisieren, testen und erweitern, indem sie radikale Innovationen in Musik, Tanz, Kunst und Akustik der letzten fünfzig Jahre neu verhandeln.
Das Akzeptieren der dem Raum inhärenten Parameter erlaubt es den Künstlern, die unterschiedlich kodierten visuellen und auditiven Schichten performativer und räumlicher Darstellung, wie sie durch das verwendete Referenzmaterial aufgezeigt werden, auszuloten und experimentell erfahrbar zu machen. Nicht umsonst ist die Arbeit nach dem Film No Night No Day unter der Regie des britischen Filmemachers Peter Gidal benannt, stellt sie doch – einmal mehr – die Frage nach der Abstraktion.
Von japanischem Bunraku- und Noh-Theater hin zu Anleihen an Filme von Peter Gidal (No Night No Day, 1997*), Kenneth Anger (Rabbit’s Moon, 1950) und Guy Debord (Hurlements en faveur de Sade, 1950); der strukturellen Klangkonzeption in Iannis Xenakis’ S. 709 sowie Herbert Brüns Dust, den Forschungen Jens Blauerts zur Psychoakustik des Richtungshörens und den auditiven Gestaltphänomenen, wie sie Albert Bregman beschrieb: Integraler Wesenszug der Arbeit ist die fortlaufende, simultane Offenlegung gewisser Produktionsmechanismen, wie die der Bühne, der Performance und der Beziehung zwischen Darstellern und Publikum. Genau diese Matrix ist es, in der die grundlegenden Regeln und Prinzipien zur Wahrnehmung der miteinander verflochtenen strukturellen Elemente auf beides Anwendung finden, das Sehen wie das Hören.
Eine Auftragsarbeit von Thyssen-Bornemizsa Art Contemporary für die
53. Internationale Kunstausstellung / La Biennale di Venezia
Fare Mondi // Making Worlds, kuratiert von Daniel Birnbaum
Dauer der Biennale: 7. Juni–22. November 2009