Nature Attitudes
4. April–9. September 2006 | TBA21, Wien

Haluk Akakçe – Illusion of the First Time, 2002
Ausstellungsansicht: Nature Attitudes, TBA21, Vienna, 2006
Photo: Michael Strasser | TBA21

Natur und Landschaft als Gegenstand künstlerischer Reflektion bilden den weitgefassten thematischen Fokus von Nature Attitudes. Die Ausstellung hinterfragt dabei die theoretischen und praktischen Stereotypen der konstruierten Natur kultureller Kategorien. Während der Begriff „Natur” sowohl reale als auch fiktive Umwelten bezeichnet, verweist „Attitüden” – also subjektive Haltungen und Einstellungen – auf jene konstruierten Bilder, die wir als Sujets erzeugen und uns aneignen. Natur wird also nicht nur als Ort, als Gegenstand der Wahrnehmung und als Symptom von Faszination verstanden, sondern auch als zeit- und ortsspezifisch kodiertes, kulturell produziertes Konzept. Haluk Akakce, Kutlug Ataman, John Bock, Olafur Eliasson, Marine Hugonnier, Mariele Neudecker, Olaf Nicolai, Matthew Ritchie, Allan Sekula, Diana Thater und Janaina Tschäpe übertreten oder brechen mit den Konventionen des lokalen, regionalen Verständnisses von Natur und veranschaulichen wie veränderte Sichtweisen in der zeitgenössischen Kunst aufgezeigt werden.

Für Reversed Waterfall (1998) konstruierte Olafur Eliasson ein komplexes System von Pumpen, Gerüsten und Plateaus, die den Fluss des Wassers umkehren und es aufwärts treiben bis ein umgekehrter Wasserfall entsteht. Die Präsentation bzw. Nachahmung von Naturphänomenen im Kunstkontext bei gleichzeitigem Offenlegen der angewandten Technik ist einer der Grundzüge von Eliassons Werk. Wie in einer wissenschaftlichen Demonstration ist die seinen Installationen – die der Künstler auch als Experimente oder Maschinen bezeichnet – zugrunde liegende Technik meist leicht zu durchschauen, was die Abläufe entmystifiziert, aber die beeindruckend sublime Wirkung nicht mindert.  In Room for one color (1997) sehen wir tatsächlich nur eine Farbe. Der Raum ist mit gelbem Monofrequenz-Licht ausgeleuchtet, das im Gegensatz zu „normalem“ weißen Licht, welches das komplette Farbspektrum beinhaltet, aus einer einzigen Wellenlänge am gelben Ende des Spektrums besteht. Der Raum erscheint farblos, da das Licht alle anderen Farben auf gelb reduziert. Darüber  hinaus tritt alles in kristallklarer Schärfe hervor, da das Auge erheblich weniger Information verarbeiten muss. Nach einer Weile kompensiert das Auge dieses Defizit durch die Erzeugung eines Überschusses der fehlenden Primärfarben Rot und Blau – die zusammen Violett ergeben. 

Skipholt, 2005, (dt. Schafshügel) erzählt die Geschichte der Erforschung der isländischen Wildnis: Ausgestattet mit einer eklektischen Ausrüstung und Gerätschaft erkundet John Bock Island, huldigt der Natur und trotzt deren Gefahren, bis er sich am Ende in einem Schneesturm verirrt und stirbt. Die Geschichte enthält alle Elemente einer klassischen Entdecker- und Abenteuergeschichtengeschichte – Herausforderung, Aufopferung, Hoffnung, die Furcht, Schiffsbruch zu erleiden – und wird dann doch zum Balanceakt zwischen wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit, Verrücktheit und Slapstick, den Bock mit seinen Hilfsobjekten vollführt. 

In Kutlug Atamans The 4 Seasons of Veronica Read (2002) spricht Read ein Jahr lang – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – über ihre Liebe zu Blumenzwiebeln. Ausdruck ihrer Obsession sind die über 900 Amarylliszwiebeln, die sie in ihrem kleinen Haus aufbewahrt und züchtet. Einen Dokumentarfilm simulierend zeigt der Film jedes kleinste botanische Detail, und doch ist er eigentlich das Porträt einer Frau, deren Leben sich ausschließlich um diese Blumenzwiebeln dreht, welche lediglich die Hoffnung auf eine Blüte in sich tragen, nicht mehr und nicht weniger.

In seinen Videoinstallationen erzeugt Haluk Akakçe surreale technologische Landschaften, die eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur suggerieren. Die symbolträchtigen Bilder von Illusion of the First Time (2002) – Skelett (Reinheit), Licht (Seele) und Fleisch (Körper) –, die von einer enigmatischen musikalischen Komposition begleitet werden, erzeugen eine Symphonie aus Form und Schatten, Stille und Bewegung, dem Organischen und dem Digitalen, und evozieren eine organische Evolution im Cybergarten Eden.

Diana Thaters farbenprächtige, komplexe Videoinstallationen beschreiben Natur als fluides Konzept, als Konstrukt, gegen das sich unsere eigene Identität definiert. Continuous Only (2005) besteht aus Filmmaterial, das Thater im Regenwald von Panama, geschossen hat. Von einem der beiden permanent installierten 90 Meter hohen Kräne des Smithsonian Tropical Research Institute filmte sie das tropische Laubdach und seine Bewohner.

Matthew Ritchie lässt uns die Natur in ihrer wissenschaftlich-ästhetischen Komplexität erfahren. Markierungen, Diagramme, Schriftzeichen sind Chiffrierungsformen der Naturwissenschaften, die er als künstlerisches Medium approbiert: Was als Spiel mit Perspektiven beginnt und dabei vielfältige sprachliche und malerische Betrachtungsmöglichkeiten aufzeigt, bietet schließlich einen Einblick in die Natur und Darstellbarkeit von Information. The Family Farm (2001) erzählt von der Kindheit seiner Großmutter auf einer Apfelfarm – dort, wo sich heute der Londoner Flughafen Heathrow befindet – und der Geschichte des Universums. Ritchie stellt wissenschaftlichen Erkenntnissen wie Newtons De Principia räumliche Darstellungen von verschiedenen Quantentheorien und Referenzen an keltische Kulte gegenüber, und zeigt wie Schottland einst mit Maine und Norwegen verbunden war, bevor der Superkoninent Pangaea zerfiel.

Allan Sekula interessiert sich für die Natur – das Meer – als sozialen Raum. Fish Story (1994) ist das dritte Projekt einer Serie von Arbeiten, die sich mit „den Imaginationen und der tatsächlichen Geografie einer spätkapitalistischen Welt“ auseinander setzten. Sekula greift die lange künstlerische Tradition der Darstellung von Häfen, Schiffen und Küstengebieten auf und kontextualisiert Geschichte und Zukunft des maritimen Raumes nicht nur in einem visuellen, sondern auch in einem sozioökonomischen Umfeld. 

Janaina Tschäpe zeigt in ihren poetisch-bizarren Arbeiten eine befremdende, artifizielle Natur. Surreale Pflanzen einer unbekannten Spezies sprießen aus dem Boden, wachsen aus der Dunkelheit wie baudelairesche Blumen des Bösen, seltsam schimmernd in ihrer Exotik. Indem sie die Blumen als kurioses, dekadentes und künstliches Produkt der Natur beschreibt, verändert sie auch deren symbolische Funktion.

Mariele Neudecker übersetzt dramatische Bergwelten in dreidimensionale Miniaturmodelle. It is a Good Thing to Lose Control Sometimes (2000) ist eine ihrer atmosphärischen Landschaftsdarstellungen, die in mit trüben und farbigen Lösungen gefüllten Glasvitrinen installiert sind. Dabei wird die diffuse Atmosphäre der Gebirgswelt in chemische Reaktionen transformiert. Aufgefordert, hinter diese offensichtliche Illusion zu blicken, ist unsere Vorstellungskraft gefangen wie die Landschaft in der Vitrine.

Marine Hugonnier untersucht in ihren Arbeiten wie Repräsentation unterschiedliche Vorstellungen von Landschaft und Geschichte konstruiert. Sie stellt Landschaft als soziales Konstrukt dar, wie sie die Geschichte formt und den Lauf der Ereignisse bestimmt. Gedreht 2002 in Afghanistan, erzählt Ariana (2003) – gleichzeitig der Name der abgewirtschafteten Fluglinie des Landes – von der Reise einer französischen Filmcrew in das Pandschar Tal und nach Kabul.

Olaf Nicolai erklärt ein Naturereignis – Sternschnuppen, die Perseiden oder „Tränen des Laurentius“ – zum Ausstellungsbeitrag. Die Daten für die Beobachtung des Phänomens wurden als Beitrag zur 51. Biennale von Venedig auf Postern angekündigt. Die Rezeption von Welcome to the Tears of St. Lawrence – An Appointment to Watch Falling Stars (2005) ist vielschichtig und spannt einen Bogen von den Massenmedien zur Kunstbetrachtung, von der Astronomie zur Biennale, von der Wissenschaft zum Aberglauben, vom Universalen zum Individuellen. Indem sein Kunstwerk Kunstereignisse als mediale Plattform nutzt, relativiert Nicolai das Konzept eines Ausstellungsbesuchs an einem spezifischen Ort. Die Perseiden sind ein Spektakel, das im Gegensatz zu Ausstellungen auch ohne Betrachter alljährlich stattfände; allerdings entscheidet die mediale Präsenz über ihre bewusste Wahrnehmung, „denn das Firmament alleine bannt die Aufmerksamkeit des Menschen nicht“.
4. April–9. September 2006

 
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4. April–9. September 2006

 
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary
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Thyssen-Bornemisza Art Contemporary
Haluk Akakce, Kutluğ Ataman, John Bock, Olafur Eliasson, Illka Halso, Marine Hugonnier, Mariele Neudecker, Olaf Nicolai, Matthew Ritchie, Thomas Ruff, Allan Sekula, Thomas Struth, Diana Thater, Janaína Tschäpe
Künstler_innen
Haluk Akakce, Kutluğ Ataman, John Bock, Olafur Eliasson, Illka Halso, Marine Hugonnier, Mariele Neudecker, Olaf Nicolai, Matthew Ritchie, Thomas Ruff, Allan Sekula, Thomas Struth, Diana Thater, Janaína Tschäpe
Wiener Städtische Versicherungsverein
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